Ein Myzel ist ein weitflächig verzweigtes, dezentral organisiertes Informations-Netzwerk von Pilzgeflechten. Es hat keinen Regierungssitz oder Steuerungszentrum. Es besteht nur aus vielen Zellen, auch Hyphen genannt. Sie können sich zum einen verzweigen -und damit vermehren – können aber gleichzeitig auch verschmelzen.
Wenn Hyphen vor einer Weggabelung stehen, müssen sie sich nicht für die eine oder andere Richtung entscheiden, sie spalten sich einfach auf und schlagen beide Richtungen ein – die Binarität wird aufgehoben. So gestaltet sich dieses verflochtene Gebilde auch unaufhörlich selbst um.
Alle Zellen sind untereinander verbunden. Spielt eine Hyphe irgendwo eine Information in das Netzwerk ein, löst es damit eine Signalkaskade aus, die das Verhalten aller Pilze in diesem Myzel in Echtzeit verändert.
Auch ein Zusammenschluss von einem Myzel mit anderen Myzel-Netzwerken ist möglich, wenn beide genetisch ähnlich genug sind; das gilt selbst dann, wenn sie sich sexuell nicht vertragen.
Spannend, oder?
„Ich wollte Pilze verstehen, und zwar nicht, indem ich sie zu tickenden, rotierenden, piepsenden Mechanismen herabwürdigte, wie wir es so häufig tun. Vielmehr wollte ich, dass mich die Organismen aus meinen eigenen Denkmustern herauslockten, wollte mir vorstellen, welchen Möglichkeiten sie gegenüberstehen, wollte sie gegen die Grenzen meines Wissens anrennen lassen, wollte mir selbst die Erlaubnis erteilen, angesichts ihres verworrenen Lebens verblüfft – und verwirrt – zu sein.“
(Zitat aus „Verwobenes Leben – Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen“, Marlin Sheldrake, Ullstein Verlag 2020, (S 41)